Forschungsmissbrauch im BSV zur Legitimation der IV-Revisionen
Dass Forschung für poltische Zwecke missbraucht wird, ist nichts Neues. Doch diese Woche hat das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV einen politischen Forschungsbericht der prekären Sorte veröffentlicht (Link). Die Fragestellung: Warum haben die IV-Renten ab 1990 so stark zugenommen? Das Resultat: Ursache dieser Zunahme der IV-Renten sei die IV selber gewesen. Der Agefi spitzte das Resultat noch zu: Ziel der sozialdemokratischen Innenminister und IV-Vorsteher in den 1990er Jahren sei es gewesen, die Zahl der "clients" der Sozialversicherungen zu maximieren. Daher der Anstieg.
Um diesen Unsinn zu verstehen, muss man etwas ausholen. Der Bericht des BSV unterscheidet zwischen "endogenen" und "exogenen" Ursachen für den Anstieg der IV-Renten. "Endogen" bedeutet, dass der Anstieg der Rentnerzahlen durch Veränderungen in der IV selber entstanden ist (neue Gesetze, anderer Vollzug etc.). "Exogen" heisst, dass Faktoren ausserhalb der IV ausschlaggebend waren (Arbeitsmarkt, gesellschaftliche Entwicklungen etc.). Das BSV behauptet nun, dass vor allem endogene Faktoren - d.h. die IV selber -zur starken Zunahme der Renten geführt haben (Zusammenfassung S. IV).
Doch was hat sich bei der IV während dieser Zeit verändert? Was gäbe es an endogenen Faktoren? Eigentlich gar keine. Das schreibt auch das BSV: „Die institutionellen Rahmenbedingungen blieben
trotz dem beschleunigten sozialen Wandel lange konstant. Während es in der
Schweiz zwischen 1990 und 2000 kaum bedeutsame Reformmassnahmen gab, wurden in
vergleichbaren Ländern gesetzgeberische Gestaltungskompetenzen teilweise früher
als in der Schweiz dazu genutzt, Niveau und Struktur der Inanspruchnahme verschiedener
Optionen beim vorzeitigen Ausscheiden aus der Erwerbsarbeit zu beeinflussen“ (S. 17). Die endgenen Faktoren kann man somit weitgehend ausschliessen.
Was sich vor allem verändert hat, war die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahl der Arbeitslosen ist extrem stark gestiegen. Unzählige "Nischenarbeitsplätze", indenen beispielsweise Menschen mit einem Alkoholproblem tätig sein konnten, sind verschwunden. Die Belastung am Arbeitsplatz ist gestiegen etc. Das wären exogene Faktoren. Faktoren, die den Anstieg der IV-Renten erklären könnten. Die Firmengewinne sind gestiegen. Leidtragende waren die betroffenen Arbeitnehmer.
Einige dieser Faktoren stellt das BSV nicht einmal in Abrede. Doch sie passen nicht in die politische Logik der gegenwärtigen IV-Revisionen, die die Leistungen mit dem Missbrauchsargument abbauen. Darum werden die Ergebnisse schliesslich so zurechtgebogen, dass sie auf die politische Logik passt. Am Anstieg der IV-Renten sei die IV schuld - weil der IV-Vollzug nicht so verschärft wurde, dass weniger Menschen mit Problemen eine IV-Rente erhalten würden.
Korrekterweise hätte das Resultat lauten müssen: Die Zahl der IV-Rentenanträge ist seit 1990 sehr stark gestiegen - u.a. wegen der Arbeitsmarktentwicklung. Weil Bundesrat und Parlament die IV nicht verschärft haben (bzw. keine "eingliederungsorientierte Reform" vorgenommen haben) , haben die betroffenen Menschen eine Rente erhalten. Wäre die IV hingegen früher verschärft worden, hätte es weniger IV-Renten gegeben.
Was das BSV betreibt, ist Forschungsmissbrauch. Indem sie der vorherrschenden politischen Logik mit zurechtgebogenen Resultaten in die Hand spielt.
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