Schwach regulierter Schweizer Arbeitsmarkt – falsch eingeschätzte ökonomische Wirkung
Der so genannte «liberale» Arbeitsmarkt der Schweiz hat vor allem auf Arbeitgeberseite zu einem Mantra verfestigt. Wegen der schwachen Regulierung in der Schweiz sei die Arbeitslosigkeit im Land tiefer. Bei Bundesrat Schneider-Ammann ist das Mantra offenbar sogar so ausgeprägt, dass er sich in Bezug auf die Entlassungen bei Merck Serono vor allem Sorgen macht, dass diese mit der Begründung des schwächeren Kündigungsschutzes in der Schweiz erfolgt sein könnten.
Tatsächlich dürfte die Kausalität umgekehrt sein. Weil die Arbeitslosigkeit in der Schweiz tief war, haben die Arbeitnehmenden einen schlechteren Schutz akzeptiert. Dazu kommt eine Delegation der Regulierung an die Sozialpartner, die Regulierungsdefizite auffangen half.
Dass die schwache Arbeitsmarktregulierung als Erklärung für die tiefere Arbeitslosigkeit nicht taugt, zeigt ein Ländervergleich. Norwegen hat eine tiefere Arbeitslosigkeit, obwohl Entlassungen sachlich begründet werden müssen. Der Abdeckungsgrad mit Mindestlöhnen von ca. 70 Prozent ist fast doppelt so hoch wie in der Schweiz (ca. 40 Prozent). Die Niederlande hat eine nur leicht höhere Arbeitslosigkeit als die Schweiz – obwohl Entlassungen bewilligungspflichtig sind und das Land einen staatlichen Mindestlohn hat.
Das Schweizer Modell mit der schwachen Arbeitsmarktregulierung stösst an seine Grenzen. Seit den 1990er Jahren ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz stark gestiegen. Die Sozialpartnerschaft stösst an Grenzen. So sind die Arbeitgeber in den gewachsenen Dienstleistungsbranchen (Z.B. Call center, Kuriere, Kosmetikinstitute etc.) nicht oder nur sehr schlecht organisiert. In diesen Branchen wird es auf absehbare Zeit keine GAV geben. Das erfordert beispielsweise einen staatlichen Mindestlohn.
Mit liberal hat eine schwache Regulierung übrigens wenig zu tun. Liberal heisst, dass die Menschen ihre Freiheitsrechte wahrnehmen können. Das bedeutet, dass ihre Rechte am Arbeitsplatz gut sein müssen, damit sie sich gegen Arbeitgeberwillkür wehren können.
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