Trauriges Versagen den britischen Linken und Gewerkschaften beim Arbeitnehmerschutz - Gastblog von Vasco Pedrina zum "Brexit"
Vasco Pedrina war lange Zeit Vertreter des SGB im Europäischen Gewerkschaftsbund EGB. Hier seine Analyse, weshalb der fehlende Schutz der Löhne und der Arbeitsbedingungen beim Brexit eine Schlüsselrolle gespielt hat, als Gastblog:
Wie in der Schweiz bei der Abstimmung zur „Masseneinwanderungs-initiative“ vor zwei Jahren war die Migrationsfrage – zusammen mit den sozialen Folgen einer radikalen neoliberalen Politik – massgebend für den Ausgang der Abstimmung zum Brexit. Die Abstimmungsresultate in den früheren Hochburgen der Industrie und der „Labour-Party“ sprechen Bände.
Allein schuld für den Druck auf die Löhne und für die zunehmenden sozialen Ungleichheiten im Lande sei die EU mit ihrer Personenfreizügigkeit gewesen. Ist dies wirklich so? Natürlich sind die EU-Behörden gut beraten, nach dem Brexit über die Bücher zu gehen und sich – endlich wieder sozial – neu orientieren, wenn sie wirklich wollen, dass die EU diese grosse Zäsur überlebt und als Chance begreift. Aber wie steht es tatsächlich mit der Verantwortung von Grossbritannien für das jetzige Schlamassel?
Gerne verdrängen oder vergessen die Briten, wer im Rahmen der EU sich 2004 ohne „wenn und aber“ für die Öffnung nach Mittel- und Ost-Europa, für eine Freizügigkeit der Personen mit so wenig sozialen Auflagen als möglich, für den Verzicht auf jegliche Übergangsbestimmungen bei den EU-Osterweiterungen, gegen jegliche sozial flankierenden Massnahmen gestellt hatte. T. Blair – als guter Schüler von M. Thatcher – wie G. Brown und D. Cameron, haben sich alle ohne Ausnahme zusammen mit ihren Regierungen Jahrzehnte lang für eine solche Politik eingesetzt.
Sogar die britischen Gewerkschaften haben zu lange diese Politik mitgetragen. Im Rahmen des Europäischen Gewerkschaftsbundes hat der SGB im Jahre 2007/08 das erste Mal - zusammen mit anderen Bünden – beantragt, die Forderung zu stellen, dass das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ in der EU-Gesetzgebung verankert wird, damit eine klare Grundlage zugunsten von Flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping – wie wir sie in der Schweiz kennen – geschaffen wird. Es war nicht möglich, dafür eine Mehrheit zu gewinnen. Erst in einem zweiten Anlauf 2009/2010 kamen wir damit durch. Die Vertreter der britischen Trade Union Confederation (TUC) opponierten dagegen mit Unterstützung der Mittel- und Ost-Europäer - mit dem Argument, es sei diskriminierend und protektionistisch. Bei der TUC kam erst ein Umdenken, als es im Februar 2009 zu einem wilden Streik bei der Oel-Raffinerie „Lindsay“ gegen Lohndumping kam. Dies in Verbindung mit dem Einsatz von entsandten Arbeitnehmern aus Portugal und Italien. Forderung der Streikenden war: „Britisch jobs for Britisch workers!“. Die Vertreter der Ost-Europäer revidierten ihre Position einige Zeit später, als ihre polnischen Kollegen auf den Baustellen der Fussball-EM 2012 Polen-Ukraine mit chinesischen Löhnen konfrontiert wurden. Die britischen Regierungen begannen ihre Position ihrerseits erst zu revidieren unter dem Druck der neuen fremdenfeindlichen Partei UKIP; aber lange ging es nur um Schutzmassnahmen gegen den sog. „Sozialmissbrauch“. Von ihrer Seite, wie seitens der UKIP, gab es bis heute kein Bekenntnis zu Schutzmassnahmen gegen Lohndumping.
Sogar Heinz Karrer, Präsident von Economiesuisse, von der NZZamSonntag zum Brexit befragt, muss zugeben, dass „Flankierende Massnahmen, wie wir sie kennen, die Verdrussstimmung gegen die EU sicher gedämpft hätten“. Schade nur, dass die Arbeitgeberverbände – abgesehen von ihren welschen Vertretern – sich weiterhin sperren gegen jegliche Verbesserung der Schutzmassnahmen (wie beim Schutz von älteren Arbeitnehmenden) im Hinblick auf die Umsetzung des neuen Verfassungsartikels zur Begrenzung der Migration. Dabei zeigt der Brexit-Entscheid aber, dass europapolitische Abstimmungen nur zu gewinnen sind, wenn die Bevölkerung den Eindruck hat, dass sie nicht den Schmarotzen und Profiteuren ausgeliefert sind. Es bleibt nicht mehr viel Zeit zum Umdenken, auch in der Schweiz nicht, wenn man nicht dem britischen Weg der grossen Unsicherheit – Gift für Wirtschaft und Gesellschaft – folgen will!
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