Billige Mindestlohn-Polemik: Zweifelhafte Ökonomiekenntnisse des Blick-Wirtschaftschefs
Sogar die OECD findet keine negativen Auswirkungen eines Mindestlohnes auf die Arbeitslosigkeit. Liest der Soziologe und Politologe bzw. so genannte Blick-Wirtschaftschef Schätti überhaupt, was in der Forschung geschrieben wird? Oder stützt er sich nur auf seine Vorurteile? Seine Polemik gegen den Mindestlohn und meine Studie an der KOF im Jahr 2005 in der heutigen Blick-Ausgabe ist ökonomisch jedenfalls unterste Schublade.
- Die damalige Studie der KOF untersuchte, wie sich eine Reallohnerhöhung von 20 Prozent (Frauen) bzw. 10 Prozent (Männer) auf die Beschäftigung im Detailhandel auswirken würde. Alle Löhne sollten so stark angehoben werden. Anders bei der Mindestlohninitiative. Werden die heutigen Löhne unter 22 Fr./h im Detailhandel auf dieses Niveau angehoben, steigt die Lohnsumme im Detailhandel um rund 1.8 Prozent. Die unmittelbare Lohnerhöhung ist somit fast 10 mal kleiner.
- Die KOF-Studie untersuchte die Auswirkungen eines höheren Durchschnittslohnes („Marktlohnes“) im Detailhandel. Die Mindestlohninitiative will hingegen, dass endlich alle im Detailhandel 22 Fr./h verdienen. Die Mehrheit zahlt schon heute 22 Fr./h. Das dürfte der „Marktlohn“ sein. Unter dem „Marktlohn“ dürften vor allem die Frauenlöhne liegen – wegen der Lohndiskriminierung. Frauen verdienen im Detailhandel im Schnitt 633 Fr./Mt. weniger als Männer. Eine Erhöhung aller Löhne auf 22 Fr./h wird sich deshalb vor allem in tieferen Renditen der Firmen niederschlagen. Denn die Preise sollten sich nicht oder kaum ändern (es gelten heute schon Marktpreise).
- Ob eine Massnahme gut oder schlecht ist für die Beschäftigten, muss an der Arbeitslosigkeit gemessen werden. Das gilt auch für die Mindestlohninitiative. Selbst wenn die Beschäftigung etwas sinken sollte, steigt die Arbeitslosigkeit nicht, weil ein Teil der Personen, welche wegen dem Mindestlohn mehr Lohn erhalten, einen Nebenjob (Reinigung am Abend, Zeitung vertragen am Morgen, Kasse am Samstag usw.) aufgeben kann. Das gibt mehr Arbeit für andere.
Blick-Wirtschaftschef Schätti schreibt: In jedem Lehrbuch steht, dass höhere Löhne Job vernichten, wenn die Produktivität nicht steigt. Das ist falsch. Wir wissen nicht, welche Ökonomie-Bücher der Soziologe und Politologe wirklich gelesen hat. Im Wirtschafts-Grundstudium hätte er möglicherweise Probleme gekriegt. Denn dort lernt jeder, dass das nur gilt, wenn die Löhne der „Marktlöhnen“ entsprechen. Das ist im Detailhandel nicht der Fall („Mono- oder Oligopson“).
Die Auswirkungen der Mindestlöhne auf die Arbeitslosigkeit wurde in unzähligen Studien weltweit untersucht. Dabei haben die Forscher insgesamt keinen negativen Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit identifizieren können. Die OECD – alles andere als eine gewerkschaftsfreundliche Organisation – kam denn auch zu folgendem Schluss: «Consistent with previous OECD work no significant direct impact of the minimum wage on the unemployment rate is found“ (OECD Employment Outlook 2006, S. 216). Das sollte ein Wirtschafts-Chef drauf haben. Sonst soll er in den Inland-Teil wechseln.
- 2 Kommentare Kommentar(e)
Mein Kommentar
Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.



23. April 2014
Ein "econometrician" ist kein Ökonom
Es ist immer interessant, vermeintliche Ökonomen sich streiten zu sehen. Die wirtschaftlichen Zusammenhänge sind nicht anhand von mit Fehlern behafteten mathematischen Modellen zu erkennen, sondern aufgrund deduktiver Logik. In Anwendung diesen Prinzips ist bei der Erhöhung des Mindestlohns eine negative Auswirkung auf die Beschäftigung zweifelsfrei. Die meisten Ökonomen agieren hauptsächlich in der Funktion, ihrem Auftraggeber (ob Politik, ob Interessenvertretungen) ein wissenschaftlich anfühlendes Feigenblatt zu bieten.
Wenn wir die Verzerrung von Märkten und Preisen wirklich angehen wollen, sollten wir wohl an dessen Ursprung anfangen, nämlich beim Fed und den andern Zentralbanken mit ihrer Politik der Geldentwertung zugunsten der Finanzelite und verstärkter Machtkonzentration.
20. März 2014
Wer kennt die Literatur nicht?
In meinem Artikel habe ich Lampart nicht als Person, sondern als Funktionsträger kritisiert. Wenn Lampart diese Ebene verlassen will, ist das seine Angelegenheit. Zur Sache: In seiner Replik schreibt Lampart, dass Eingriffe in den Marktlohn zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Bei der Mindestlohninitiative, die ja nicht nur den Detailhandel, sondern sämtliche Branchen betrifft, handelt es sich genau um einen solchen Markteingriff. Ergo bestätigt Lampart nun selbst, dass sie zu mehr Arbeitslosigkeit führt. Zur internationalen Literatur verweise ich auf den Seco-Bericht “Tieflöhne in der Schweiz” vom August 2013. Dort steht auf Seite 41: “Die Wirkung von Mindestlöhnen wurde bisher in einer Vielzahl von Studien empirisch untersucht. In einer neueren Meta-Analyse wurden 55 solcher Studien aus den letzten 15 Jahren über die Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen in 15 verschiedenen Industriestaaten analysiert (Boockmann 2010). Je rund 30% der Studien fanden signifikant negative, insignifikant negative oder insignifikant positive Beschäftigungseffekte; knapp 10% der Studien fanden signifikant positive Effekte.” Dieses eindeutige Resultat unterschlägt Lampart. Er beachtet offensichtlich nur Studien, die seine These der Unbedenklichkeit bestätigen.